“Wahres ‘Über-Setzen’... wäre ein Nachdichten, das durch doppelte Bindung sich
mit weit größerer Verantwortlichkeit zu beglaubigen hätte, als das Dichten im eigenen Erlebnisraum...”
(Karl Kraus)
Projekte 2020:
Zuerkennung eines Arbeits-stipendiums des Deutschen Übersetzerfonds für die Übersetzung von Lyrik der ukrainischen Avantgarde 1918-1925 im Rahmen einer Anthologie.
Danke DÜF und geschätzte Kollegen!!
Projekte 2019:
Übersetzungen für das 4. deutsch-ukrainische Schriftstellertreffen
Eine Brücke aus Papier in München und Berlin: Oleh Kozarew und Juri Andruchowytsch: Lithografien
Bestandene Jiddicums-Prüfung an der Universität Potsdam.
איך בין אַזוי זייער שטאָלץ
Mit zwei weinenden Augen: Untertitelung der letzten Staffel von Orange is the New Black beendet. Fünf Jahre tolle Arbeit with my favorite ladies behind bars.
"Everything ends. I am currently unemployed."
I'mma miss ya all!
Kindergeschichten, Wissenschaftstexte, Untertitel zu Filmen von Norah Ephron, Peter Jackson, Duncan Jones, Tony Palmer, Robert Rodriguez, Gary Ross, Bryan Singer, u.v.m. Arbeit an Serien und Shows, u.a. Orange is the New Black, You, Desperate Housewives, South Park, Spartacus, Champions, We Bare Bears und Chelsea Lately.
Untertitel zu Filmen von Jean-Jacques Annaud, René Clair, Abel Gance, Jean-Luc Godard, Jean-Pierre Melville, Eric Rohmer, Bernard Tavernier u.a.
Aus dem Ukrainischen von Beatrix Kersten
Jurij Izdryk
oktavisch
im Erntemond sterben
durch Leinen schreiten
Regeln keine, Zeugen nicht zugelassen
8 lachende Flammen verlassen
und etliche lohnende Stoffe
Türen und Fenster offen lassen
und aus dem Rauchfang fahren
kein Grus, kein Gefieder
nur Pinsel und Griffel
und der Geruch von gehäckseltem Gras
die herbe Rebe gehegt seit März
Sukkade, Sambucus, Muskat
Anamnese der Lichter auf Perrons der Provinz
und Enzykliken verzückter Zikaden
sich ruchlos als Hauch
über das Anwesen heben
Wolken und Vögeln folgen
durch Pflaumen taumeln
sich einschreiben schief
und kursiv ins Himmelsarchiv
und – verschwinden für immer
spurlos ruhmlos
kein Testament, kein Akzent
er lebte eben so vor sich hin
schon lange bis unlängst
machte sich dann auf – und ging
im Erntemond sterben
die Propheten erbeben lassen
als Schemen zur Erde schweben
nur den Atem vererbend im Fall
den Klüften deiner Klavikulae
Aus dem Ukrainischen von Beatrix Kersten
KATERYNA BABKINA
Ewiges Gedenken
Liegst du im Sterben, so solltest du daran
denken, dass, klar, immer das Gute gewinnt,
nur merkt man's vielleicht nicht gleich.
Dass es jedenfalls irgendwo silbrige Bäume und süße Flüsse gibt
und dass für immer dein nur ist, was du herschenkst,
und sei's auch alles an Licht, was du hast.
Dass Lieben nicht weh tut und nicht schlimm ist selbst dann,
wenn die Angst dich packt vor der Liebe und es schmerzt,
dagegen nicht anzukommen.
Keinesfalls solltest du daran denken, wie
nach dir andere leben und sterben, die
nicht das Geringste wissen von dir.
Kommt also, sei´s unerwartet oder auch nicht, der Augenblick,
in der Stadt, die noch überall brennt,
in dem Land, das noch so viel von dir will,
dann zähl besser schnell deine Lieben auf und die,
die liebevoll achtsam in deine Fußstapfen treten
und schließ deine Augen nicht.
Ewiges Gedenken - ist ein dünner Strahl, der durch die Zeiten bricht,
ist ein kostbarer Klang in der Luft, ist Taubengurren
und blitzendes Gold in fremdem Aug.
Liegst du im Sterben, so solltest du singen:
Leben läuft über in Leben wie Meer in Regen
und darum endet es nicht.
Aus dem Ukrainischen von Beatrix Kersten
MARJANA KIJANOVSKA
leben leben und leben
gerade so, niemals mehr als die Blätter
die in der Hruschewski-Straße nicht an den Bäumen hingen
als die schwarze Eiskruste auf dem Weiß des Schnees
nach den Scharfschützen
nach der Hymne
als die Nussbäume, die Ahorne und die Kastanien
in den Kuhlen, in der Erde
tanzten und tanzten, um nicht zu fallen
neun Tage ausharrten und noch einmal vierzig
nochmal und noch
noch mal und noch mal und noch
und dann alle auferstanden
die Nussbäume, die Ahorne und die Kastanien
und manche trieben selbst aus
Aus dem Ukrainischen von Beatrix Kersten
PETRO MIDJANKA
Weißt du noch, Lug
Weißt du noch, Lug mit seinen Schindeldächern
Die Soleier auf den Stellagen die Pilze
Papageien schreiend im Fernsehen
die hellroten Troddeln der Blusen.
Wie anders ist es hier jetzt
Überwuchert ist alles, die Donau schwemmte alles hinab.
Nur auf Fotos gibt es sie noch, die Schänken und Hütten,
als Kind streifte ich dazwischen umher.
Jetzt sprießen Häuser mit Bogengängen,
jemand baut eine Arche, wie die des Noah.
In den Augen der Dichter glimmt das Gold der Kolyma
Und endzeitlich strahlend der Wahn
Aus dem Ukrainischen von Beatrix Kersten
Kateryna Mikhalitsyna-Onishchuk
Gespräche
Wie findest du ihn, Jim, diesen Herbst aus Versehn,
diesen August, diese Dürre, den mephistophelischen Brand?
Hörst du, wie die Schnecken das Grün zerpflücken? Wie die nackten Zehn
der Kastanien durch den Straßenstaub schreiten? Ja, hier ist ödes Land –
es könnte mit Kalifornien sich messen. Zapfen mit schuppigen Rillen,
gewaltig wogend bräunliche Fichten, welk und versengt.
Wein aus Hagebutten. Piroggen. Tote Mäuse, verdorrende Hüllen,
von fetten Katern erschlagen. Unter zwanzig Körnern liegt
eine Erbse, die letzte. Teilen wir halt in zwei Hälften.
Wohin willst du? Bleib da, lass doch, lass doch – sollen sie ruhn.
Und wieder Kastanien. Fallen ausgezehrt von den Bänken
über dem Wagenrad. Und die Schnecken, hörst du, sind stumm...
Nun gut, dann sprechen wir noch mal. Davon, wie in brauen Pilzen
mit weichen, glitschigen Kappen beim Stoß durch die Kruste
des ersten Schnees – eines Nachts im November – der Wille
zu wachsen erstirbt. Komm, wir verriegeln die Luke.
Wir glätten die Decke und löschen in der Lampe aus China das Licht.
Wir schließen die Augen. Gedunsen und kränklich vor Nässe
rutschen Flocken die Scheibe herab. Klar, das kennst du so nicht,
dass sich das alles so anfühlt, so tief ist, bis zur völligen Schwäche
der Zunge bewegungslos eingewachsen ist in das Ohr... Die Pilze
sind starr vor Kälte im Schnee um den knorrigen Stamm,
Torfmoos wächst auf ihm, von oben muten sie
wie die Buckel kleiner Kamele an. Erbarmungslos klamm
durchdringt der Schnee ihre Leiber bis in die fasrigen Herzen,
schält aus den Rissen noch unreife Sporen,
und in der Mitte brechen sie ein. Sinken nieder wie Kerzen
wie Karawanen in der Wüste, matt und verloren.
Und der Schnee häuft sich auf. Gemächlich und weiß, wie ein Henker,
mit einem Korb, worin weiße Binden sich türmen,
wird dieses Wesen ihnen zum Gott. Hast du es SO schon gesehn? Welch feine Den-
ker sie sind! Vom Dachboden duften die trocknenden Birnen...
Aus dem Ukrainischen von Beatrix Kersten
Vano Krüger
Die Landung der faschistischen Fliegenpilze am 25. April in Berlin während der Einnahme der Stadt durch die Rote Armee
Als die Rote Armee Berlin einnahm, am 25. April '45
Da landete inmitten der zerbombten, besiegten Stadt
mit ihren von Trümmern bedeckten Straßen
und den leeren Gebäudegerippen mit schwarzen Höhlen statt Fenstern
da landete also mitten im Schutt und im Chaos des Krieges
ein Trupp Fliegenpilze,
die letzte Hoffnung des Reichs, SS-gedrillt in Gewölben und Bunkern.
Die Fliegenpilze waren riesig, mit trunkenen, strahlenden Augen
und breitem Zahnpastagrinsen
unter ihren mit schwarzen Hakenkreuzlein übersäten,
breitkrempigen Hüten.
Die Fliegenpilze schnappten sich die Sowjetsoldaten
stopften sie sich in den aufgerissenen Rachen
und bissen ihnen in voller Montur
die Köpfe ab.
Die grünen Helme mit den roten Sternen spuckten sie aus:
Plautz, da flog einer und kollerte übers Berliner Pflaster, dass es
zur Freude der Fiegenpilztruppe
ganz wie das Horst-Wessel-Lied klang,
Plautz, da flog noch einer, der schepperte Deutschland, Deutschland über alles
Schlutz - das war die Kappe eines roten Majors, die war unmusikalisch.
Als die Fliegenpilze ihr Festmahl beendet hatten,
rotierten bei allen zugleich die Hakenkreuzhüte
und sie hoben als großes Dreieck ab in den Himmel
und glichen bald nurmehr
einem niedlichen Schwarm roter Sonnenschirmchen.
Aus dem Ukrainischen von Beatrix Kersten
Ljubow Jakymtschuk
Die Aprikosen des Donbas:
Großmutters Märchen
Wenn Tränen
Steinsalz werden
Wenn das Meer im Bauch
eine Mine wird
Dann sterben die Mammuts
und werden Seelen geboren offen und frei
die tauschen den Schneid gegen Schnaps
und gehen malochen
Warte!
Sie schluckt dich, die Mine
die Schöne mit der schwarzen Haut
aus Stein
Haben die Skythen für sie die Idole gehauen
in den wie Kumpelbacken stoppligen Steppen?
Warte!
Sie gebiert dir ein totes Meer
ihre Taille misst keine sechzig
und die Brüste hängen ihr auf den Bauch
Geh nicht hinein
Vielleicht kommst du nicht wieder
wie das Kind einer Mutter
die nicht gebären will
Er versank in ihr – eins
und kam wieder, in der Hand hielt er Tränen
Er versank in ihr – zwei
und kam wieder, in der Hand hielt er Salz
Er versank in ihr – drei
und seine Hände voll Kohle
zogen ihn auf den Boden
des Meers im Innern der Erde
Die Aprikosen reckten zum Himmel die Hände
Die Aprikosen setzten sich gelbrote Helme auf
Und wenn du jetzt Aprikosen isst
ist Kohle drin
Ende
Aus dem Ukrainischen von Beatrix Kersten
Ljubow Jakymtschuk
Die Aprikosen des Donbas:
Das Buch der Engel
Deine Zähne sind dunkel und löchrig
wie die Halden
Deine Augen grau und stechend
wie der Wurzelstock
aus Rauch des Kombinats Altschevs'k
der umgedreht in die Höhe wuchert
und überall anwächst
wie Weiden
- Meine Gesundheit ist schwach
doch bin ich nicht zu bedauern
Sie geben mir Gras, doch nicht irgendwelches
steinernes
von unter der Erde
von unter dem Himmel
Einst war hier ein Meer
und riesige Grashalme wuchsen
an denen sich Engel wiegten
Das Gras lauschte ihrem Gespräch
bewahrte die Worte
wurde verdichtet zu Torf
Der presste das Wasser heraus
wurde zum Mark von allem
verbarg sich unter frischen Zweigen
und allerlei Stümpfen
Die Engelsworte
konnten durch die Luft nicht reisen
da wurden sie Kiesel
steinernes Gras
Sie wurden Kohle
und jede Grube jetzt ist ein Buch
voller Engelswörter
dessen Seiten
in den Hochöfen brennen
den gewaltigen Kerzen
verloren-verstreut
in den Steppen
Daher blasen im Donbas die Fabriken
bunten Rauch in den Himmel
und pfeifen
auf das Rauchverbot
für öffentliche Gebäude
In den Werkshöfen
haben sie das Sagen
Und da ist bekanntermaßen das Rauchen
nicht mal den Spatzen verboten
fu-tsch
ein Zug
fuu-tsch fuu-tschsch
Aus dem Ukrainischen von Beatrix Kersten
Ljubow Jakymtschuk
Die Aprikosen des Donbas:
er sagt, es wird alles gut
er sagt: sie haben die Schule zerbombt, auf der du warst
er sagt: das Essen geht aus, das Geld ist auch alle
er sagt: humanitäre Hilfe, der weiße Konvoi, das ist die Rettung
er sagt: humanitäre Hilfe flog bislang als Granaten
es hat die Schule erwischt
wie das denn, wann und wie – erwischt?
ist sie leer, zerschossen oder einfach weg?
was ist mit meinem Foto am schwarzen Brett?
was mit meiner Lehrerin, die vor der Klasse stand?
er sagt: Foto? wen interessiert schon dein Foto?
er sagt: die Schule ist geschmolzen – scheußlich heiß dieser Winter
er sagt: die Lehrerin hab ich nicht gesehen und bitte mich nicht nachzuschauen
er sagt: deine Patin hab ich gesehen, die hat’s erwischt
flieht
lasst alles stehen und liegen und flieht
verlasst das Haus, die Aprikosengläser im Keller
die rosa Astern auf der Veranda
die Hunde erschießt, damit sie nicht leiden
verlasst dieses Land, verlasst es
er sagt: spinn nicht rum, wir verlassen es täglich – in Särgen
er sagt: es wird alles gut, unsere Rettung naht
er sagt: der Konvoi rollt
Aus dem Ukrainischen von Beatrix Kersten
Ljubow Jakymtschuk
ZERFALL
An der Ostfront nichts Neues
wie lang so noch?
Metall wird vor dem Tod heiß
und Menschen kalt
erzählt mir doch nichts von Luhansk
es heißt schon lange bloß Hansk
Lu wurde dem roten Teer gleichgemacht
meine Freunde tragen Handschellen
do ch nach Do nezk gelange ich nicht
um die Gefesselten aus den Gelassen, den Kesseln zu lassen
und ihr schriebt Verse, wie bestickte Blusen so hübsch
schreibt ideale, glatte Gedichte
goldene, hohe Dichtung
über Krieg lässt sich nichts dichten
Krieg ist Zerfall
bloße Lettern
sie alle bloß rrr
Perwomajsk wurde zu Perwo und Majsk zerbombt
per foriert im Mai sk andalös quälend
und wieder endete ein Krieg dort
aber Frieden kam keiner
und wo ist De balzewo?
mein Debalze wo?
da wird kein De Saussure mehr geboren
da wird überhaupt kein Mensch mehr geboren
der Horizont, der mich umrundet
ein einziges spitzes Dreieck
Sonnenblumen auf einem Feld mit hängenden Köpfen
schwarz und trocken geworden, wie ich
bin so schrecklich alt schon
und auch nicht mehr Ljuba
bloß ba
Aus dem Ukrainischen von Beatrix Kersten
Anton Kushnir
URBAN STRIKE
Rippen brechen beim Ausatmen. Tiger hätte das wissen müssen.
Vor ein paar Jahren kursierte in der mehr oder weniger radikalen Szene und im Netz ein Text: Die „Ratschläge des großen Bruders” – angeblich war dieser ehemaliger Streifenpolizist – mit einer Liste von Empfehlungen für den Umgang mit der Polizei bei Ausweiskontrollen, Durchsuchungen, bei der Festnahme, beim Verhör, beim Versuch, ein Geständnis aus dir herauszuprügeln oder dir einen ungelösten Fall anzuhängen.
Darin hieß es ausdrücklich: Wenn sie dich auf den Boden geworfen haben und zutreten, Atem anhalten, Rippen brechen beim Ausatmen. Tiger, der uns damals einen Ausdruck dieser Ratschläge mitgebracht hat, derselbe Tiger, der jetzt mit zwei gebrochenen Rippen auf der Unfallchirurgie liegt, der hätte das wissen müssen.
Ich bahne mir einen Weg durch eine gutgelaunte Gruppe, die den Bürgersteig okkupiert, und versuche zu kapieren, was schief gelaufen ist. Vielleicht hat der Text ja Lügen erzählt. Es gibt keinen Grund, einem Bullen zu glauben, selbst wenn es ein ehemaliger ist, außerdem ist über den Autor des Textes nichts Verlässliches bekannt.
Der Text hätte auch das Fake irgendeines Penners sein können. Vielleicht hat Tiger diesen Ratschlag vergessen, es ist ja nicht gerade einfach, sich an die passende Anweisung zu erinnern, wenn sie von hinten über dich herfallen, dich auf den Asphalt werfen und sofort mit schweren Schuhen auf dich eintreten, das ist ja gar kein echter Kampf, bevor du auch nur zur Besinnung kommst, liegst du schon in einer Blutlache... (fließt eigentlich Blut, wenn man sich die Rippen bricht?... innerlich schon, klar, aber äußerlich?) Vielleicht hat es auch zu lang gedauert?
Wie lange kann man den Atem anhalten, wenn man sich auf dem Boden wälzt und das Gesicht schützt? Vielleicht ist er mit dem Schmerz nicht klargekommen?
Schmerz kann auf alle Fragen die Antwort sein. Er ist ein gewichtiges Argument gegen dein Wertesystem, gegen deine politische Einstellung, das komplexe Geflecht persönlicher Sympathien und Antipathien. Ein Argument, das sie früher oder später unweigerlich gegen dich anführen werden, und auf das du dich vorbereiten musst.
Aus dem Ukrainischen von Beatrix Kersten
Oksana Forostyna:
DUTY FREE
»Wer ist denn der Maltschik da?«
Einen Moment lang war sich der Riese unsicher, ob er nicht vorsichtshalber auch Elijah an seine breite Brust drücken sollte.
»Wie bitte?«
Elijah ahnte, dass die Frage ihn betraf. Wie auch sonst immer stellte Damskyj ihn seinem Bekannten kurz vor:
»Das ist Elijah, er kommt aus Amerika, er ist hier, um unseren Dumpfbacken etwas über Business beizubringen.«
Die Worte »Amerika« und »Business« riefen regelmäßig hohe Erwartungen hervor, insbesondere bei Künstlern, die einen potentiellen Kunden in ihm sahen und Elijah sofort in ihre Ateliers einluden. Gern finanzierte er ihnen dann ein ordentliches Besäufnis, doch ein Bild überstieg sein Budget.
Zu seiner Verwunderung machten ihm die Künstler oft Geschenke – keine Bilder, das nicht, aber kleine Grafiken, Kataloge, Scherben alter Fliesen, Schnipsel aus Collagen, Fotos oder Plakate. Überhaupt schien es, als gäbe es für sie nichts Wichtigeres im Leben, als Elijah vom Anfang der Neunziger und dem Festival »WyWych« zu erzählen, vom Anstehen für Alkohol, von den Kostümbällen, den Engeln aus Gips und den Key-Dschi-Bi-Agenten in ihren Ateliers, von den Freunden, die gestorben waren, und von der Geldnot.
Das Land ihrer Geschichten hatte nichts mit dem Land der unbegrenzten Freiheit aus Elijahs Träumen gemein, aber auch nichts mit der Welt der naiven, darbenden Wesen, die man in der ukrainischen Sonntagsschule heraufbeschworen hatte. Künstler waren unter der Sowjetherrschaft offenbar vor allem damit beschäftigt gewesen, einander in ihren Ateliers zu besuchen, und in der Regel hatten sie ihre Arbeiten gar nicht unbedingt verkaufen müssen.
Viele hatten allerdings auch nicht die Möglichkeit gehabt, etwas zu verkaufen, da es Nicht-Regimetreuen (und Elijah traf sich überwiegend mit solchen) verboten gewesen war, in offiziellen Galerien auszustellen, weswegen sie sich ihre Bilder gegenseitig zu den sogenannten Privatausstellungen brachten.
Dafür hatte es andere Möglichkeiten gegeben, beispielsweise konnte man in einem Dorf eine Bushaltestelle ausgestalten (Elijahs Versuch eines Gesprächsbeitrags:
Oh ja, in Amerika waren solche Wandgemälde in den dreißiger Jahren populär!),
der Lohn reichte dann für mehrere Monate bequemen Lebens, und während der Arbeit vor Ort
hatte der Künstler Kost und Logis in der Kolchose.
Der Neuankömmling war ganz offensichtlich auch einer von diesem Schlag.
»Jelajscha, hör mal«, seine neue Bekanntschaft – struppige Mähne, Bart, Brille, ein Regenmantel, auf dem Elijah etliche Flecken entdeckte, über deren Herkunft er aber lieber nicht nachdenken wollte – wandte sich ohne viel Umschweife an ihn:
»Jelajscha, weißt du eigentlich, dass der Vater eures großen Dichters Allen Ginsberg in dieser Stadt geboren wurde?«