Worte sind lebendiges, atmendes Material.

Sie brauchen respektvolle Behandlung und umsichtige Formung und Fügung.  

Insbesondere gilt dies für Worte, deren Botschaft ihre Empfänger auch über

die Grenzen von Sprachen und Kulturen hinweg klar hörbar erreichen soll.

Dabei hilft eine breit gefächerte Sachkenntnis, lange Erfahrung und leidenschaftliches Einfühlungsvermögen.

 

Sprachgitter recherchiert und textet für Webseiten, Imagefilme, Unternehmenspräsentationen,
Werbekampagnen, wissenschaftliche Artikel, Editorials, Rezensionen.


und manchmal einfach nur so

 

 Zufriedene Kunden sind die Vrije Universiteit Amsterdam, The Amsterdam Global Change Institute, Packwell Schwepnitz, WKtex, der Tzuica-Verlag, die Gesundheitszentrum Niederlausitz GmbH, Cynkrotek, das Niederlausitzer Netzwerk Gesunde Kinder u.a.m.

Die richtigen Worte zu klaren Texten.


Autopoiesis

veröffentlicht in Journal für Religionsphilosophie 5/Dresden 2016

 

Gelänge es, flexibel zu sein, kommunikativ, motiviert, strukturiert und orientiert, selbstkritisch und selbstbewusst, entscheidungsfreudig, aufgeschlossen, belastbar und versiert, ständig erreichbar, entspannt, effizient, heiter, interessiert und einsatzbereit, stets alle deadlines zu halten, alle Daten zu kennen, seinen Job zu leben, sein Team zu lieben, nie Probleme, stets Projekte zu haben, sie als challenge zu schätzen, kompetitiv anzugehen und effektiv zu lösen, immer positiv und produktiv Chancen verwertend –

 

Gelänge es, sympathisch und offen rüberzukommen, authentisch, sich mit einem Lächeln, einem flotten Spruch auf den Lippen gewinnbringend zu engagieren, in Beziehungen zu investieren, bewusst zu konsumieren, sich zu perfektionieren und zu optimieren, zu entwickeln, zu pampern, Psychohygiene zu üben, Zeit und Gefühle zu kontrollieren, zu disziplinieren und zu therapieren, mit Cardiofitness, Cleansings und Paleodiäten, die Goal-Tracker-Apps, Schrittzähler und Nährwerttabellen immer im Einsatz den Körper zum Tempel zu machen, in die richtigen Marken gehüllt und mit den technischen Insignien der Führung und Verführung versehen mal hübsch und hip, mal reif und seriös überzeugend durch alle Lebenslagen zu navigieren, den eigenen Marktwert steigernd und bei offenen Optionen die Work-Life-Balance haltend genügend Synapsen zu bilden, um sich verändernd sich zu überholen –

 

Gelänge es, fotogen zu posen und geistreich zu posten, inspiriert und dynamisch das Projekt Leben in den heiligen Hallen des Netzes voranzutreiben, kreativ verewigt vor jedermanns Augen Likes zu kassieren fürs Bestücken des Museums des Ego mit Augenblicken, das aalglatte Ich in den Zeitstrom der timeline zu werfen, sich filmend und chattend neu zu erfinden, vernetzt, verlinkt, in 140 Zeichen, als das What einer App, zwitschernd, bloggend, als grinsendes Smiley, gläserner Bürger, ortbarer User quantifiziert, evaluiert, entblößt virtuell perfekt zu existieren, seine Wünsche preisgebend, seine Präferenzen enthüllend mitzuwirken am Großen Ganzen von Crowd und Kommerz –

 

Gelänge es, zum Teilen und Heilen zu eilen, sich auslebend auszubeuten, kommunizierend zu kapitalisieren, sich zu adaptieren, zu inszenieren und zu transzendieren, alle Ansprüche des neoliberal-kapitalistischen Über-Ich übererfüllend ein makellos richtiges Leben im Falschen zu führen, alle Zwänge der Freiheit individuell internalisiert und integriert, alle Zweifel getilgt und im festen Glauben, die Wüste sei in mir, das schlechte Gewissen sei meins und keins, das man mir machte –

 

frei zu wählen, was mich manipuliert

und leidenschaftlich lückenlos Leistung zu bringen

 

wäre ich dann vollbracht?

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Bleiben will ich, wo ich nie gewesen bin

Veröffentlicht auf https://www.philosophie.ch/blogartikel/highlights/nachdenken-ueber-heimat/bleiben-will-ich-wo-ich-nie-gewesen-bin

 

Der Wunsch des Dichters redet keiner modernen Rastlosigkeit und Reiselust das Wort, auch nicht der selbstoptimierenden Zielsetzungseuphorie. Es ist ein Satz voll verzweifelter Sehnsucht. Ohne Thomas Brasch das Meinen des Folgenden unterschieben zu wollen, sei dieser Aufschrei deutsch-deutscher und künstlerischer Heimatlosigkeit mein Türöffner in das hier zu Bedenkende.

 

Bleiben will ich. Verweilen, Auf- und Durchatmen, fraglos sein, enthoben der Kritik und des Kritisierenmüssens. Tiefe Vertrautheit wünsche ich mir, nicht herzustellen, nicht aktiv aufsuchbar, nicht zu verdienen, nicht aufzubauen. Eine Heimstatt und Heimat, wohinein ich komme um bleiben zu können, ganz zu Hause zu sein, obschon ich dort nie gewesen bin.

Solcherart interpretiert ein wahrlich utopisches Verlangen in der entzauberten und durchverwalteten Welt. Ein hoffnungsloses Ansinnen unter den Vorzeichen transzendentaler Obdachlosigkeit. Romantisch überholt in einer von Identitäten, Nationen, Traditionen und ihren je eigenen Verkrustungen, Vorurteilen und Wahnvorstellungen tausendfach fragmentierten, von roten Linien, Gräben und Verletzungen durchzogenen Lebenswelt und Kommunikationskultur. Und grundlegender noch, schlicht unmöglich von unser aller Warte des Gefesseltseins an die definierende und negierende Sprache, die mächtige Vermesserin der Grenzen unserer Welt, die «Droge, für die Eiferer geradeso wie für die Egoisten» (Michel Serres), die uns, selbst wo wir sie unschuldig und aufrichtig verwenden, zuverlässig immer hinaustreibt aus dem Verweilen in die Distanz des Noch-nicht oder Zu-spät.

 

Bleiben will ich, wo ich nie gewesen bin. Nachdenken über Heimat? Ein Luxus in einer unfriedlichen Zeit, in der es für nicht wenige Menschen um die elementarsten Formen des Beheitmatetseins und Bleibenkönnens geht («Frieden ist, wenn du zu Hause sitzt» –

Sgrafitto von Hamlet an einer Mauer in Charkiw, Ostukraine). Oder gerade jetzt und durch die vielgestaltigen Entwurzelungen der globalisierten Existenz eine sich öffnende Wunde, somit eine Notwendigkeit? Ja. Aber wie kann dieses Nachdenken geschehen? So nicht als Geschwätz und Geraune von erdiger Scholle und goldenem Zeitalter, dann unausweichlich als Variation auf das uralte Lied von Verlust, Vertreibung, Exil oder als einer der vielen Lob- oder Abgesänge auf die Sprache als Heimat, auf die neuen und zweiten Heimaten, die fließenden Identitäten?

 

Ich entscheide mich, möglichst frei von allem, was einengt und verstellt, der Sehnsucht zu folgen. Bleiben will ich, wo ich nie gewesen bin. Bleiben ist, so könnte man sprachketzerisch und schuldeutsch sagen, gar kein Tu-Wort. Es ist ein Hingabe-Wort. Bleiben ist mehr als Ver- oder Ausharren. Bleibend stehe ich still.  Bleiben ist Erleben von Zeit, Ausfalten der Sinne in dem, was je gerade um mich ist. Ein Mich-Erfassen- und Beschreiben-Lassen wie ein leeres Papier. Nur im Bleiben ist das Glück der «Hautlichkeit» (Friedrich Nietzsche) voll auszukosten, das Eintauchen in Licht und Luft, das Gespür für Bodenelastizität, für Atem, Herzschlag, Haltung und Richtung. Wer Heimat denken will oder sich Heimat wünscht, muß die Identitäten des Weltreisenden, Weltenerklärers, Weltenerbauers ablegen, um sich elementar in die eigene Haut zu begeben. Eine Übung im Innehalten, Stehenbleiben. «Lassen Sie den Blick in alle Richtungen schweifen, improvisieren Sie», empfiehlt Michel Serres, denn: «Die Improvisation setzt den Gesichtssinn in Erstaunen.» Stehen, Staunen, desorientiert sein, sich die Sprache verschlagen lassen. Und da zeigt es sich (vielleicht), fällt es (vielleicht) wie Schuppen von den Augen, dass die einmal nicht flüchtig abgescannte oder überlegen be- oder ergriffene, sondern erschaute, erhörte, erspürte Wirklichkeit – fremd ist. Geheimnisvoll, aber dabei zutiefst vertraut.

 

‹Heimat› und ‹Geheimnis› haben dieselbe Wortwurzel. Sie tragen – vom heutigen Sprachgebrauch her erstaunlicherweise – das Moment tiefer Nähe in sich, die radikale Intimität einer Verbindung jenseits aller Kausalitäten und Begrifflichkeiten der mathesis universalis unseres Denkens. Bleiben will ich, wo ich nie gewesen bin. Wer sinnlich und geistig staunend Fühlung aufnimmt mit diesem fremd-vertrauten Geheimnis, das das genaue Gegenteil eines lösbaren Rätsels oder einer unfruchtbaren Entfremdung ist, erhascht einen Zipfel dessen, woraufhin die Sehnsucht geht.

Nietzsche lässt seinen Zarathustra das ganz und gar immanente «Glück» der «plötzlichen Ewigkeit» preisen, in der ihm die Welt selbst sinnvollkommen wird. Die zeitgenössische Religionsphilosophie spricht im Rückgriff auf Heidegger von Manifestationen eines Sinnüberschusses im «Ereignis», das allein uns «das gibt, worin wir Leben und Sein haben, das wir brauchen wie die Luft zum Atmen.» (Jean-Luc Marion).

 

Für Romano Guardini wird, wer so mit allen Sinnen «vor die Wirklichkeit gelangt» im Letzten ihrer «Geschaffenheit» gewahr, des «Verwirklichtseins durch den Lebendigen Gott» (Guardini). Dieses «Geheimnisvolle und zugleich Tiefvertraute» zu vergegenwärtigen als das «Ur-Eigentliche und All-Eigentliche» (Guardini) der Geschaffenheit, ereignishaft vielleicht, aber von bleibender Konsequenz, würde alle Verhältnisse neu justieren, alle Perspektiven umkehren, die eigene Existenz neu orientieren.Alles neu werden lassen – zur Heimat im Geheimnis.

 

Bleiben will ich, wo ich nie gewesen bin – Bleiben kann ich, wo ich immer schon war.  

 

Niemand, zuletzt Guardini selbst, behauptet, diese Umkehrung sei voraussetzungslos oder einfach zu haben. Doch erlaubt sei, auch und gerade unter Philosophen genau diese Frage wachzuhalten – wie Guardini in einem Brief an einen Freund:

«Vielleicht kann man überhaupt nur im Geheimnis wohnen, geistig, und alle ‹Aufklärung macht das Atmen schwer›. Was meinst Du?»